„Energiekontor stoppt Neubaupläne“ – so lautete die Überschrift eines Artikels in der Wümme-Zeitung am 23.6.2021. Wer den Artikel gelesen hat, könnte an einer Stelle gestutzt haben. Denn ein Mitarbeiter von Energiekontor hatte als einen Grund für die Aufgabe der Umzugspläne genannt, dass die Wirtschaftlichkeit der Investition durch die Festsetzung des Gewerbesteuerhebesatz von zuvor 390 auf 430 Prozentpunkte seit dem Jahr 2018 durch den Gemeinderat Lilienthal deutlich gelitten habe. Warum hat das Unternehmen dennoch weitere fast dreieinhalb Jahre an den Plänen zur Umsiedlung festgehalten?
Die Antwort: Der Bürgermeister hat Energiekontor 2018 Steuervorteile in Aussicht gestellt und das Unternehmen so bei der Stange gehalten. Ende Mai 2021 hat er der Energiekontor AG allerdings geraten, ihren erst im März 2021 formell gestellten Antrag auf „ermäßigten Gewerbesteuerhebesatz“ wieder zurückzuziehen. (Erst) Danach hat Energiekontor die Umsiedlungspläne aufgegeben.
Während der Bürgermeister Gewerbesteuereinnahmen, die die Gemeinde durch ein neues Unternehmen hätte erzielen können, nachtrauern wird, stellt sich für die Fraktion B90/Die Grünen, die im Juli Akteneinsicht in der Verwaltung genommen hat, eher die Frage, welche Folgen der „Rückzug“ von Energiekontor sonst noch haben könnte. Da die Ansiedlung des Unternehmens mit dem Umzug der Osterholzer Stadtwerke GmbH & Co. KG (OSW) auf das Grundstück des Lilienthaler Baubetriebshofs verknüpft wurde, geht es – im Moment erkennbar – um folgende Bereiche, die angeschaut werden müssen:
- die Umsetzung der Kooperation der beiden Betriebshöfe der Gemeinde Lilienthal und der OSW: Die Kooperation wäre wohl nicht zustande gekommen, wenn der Bürgermeister den OSW nicht einen potenziellen Käufer – Energiekontor – für das Grundstück Am Holze 9 präsentiert hätte; nun „kämpft“ man insbesondere mit rechtlichen Schwierigkeiten, die sich aus dem Vergaberecht und ggf. aus dem Nachbarrecht ergeben;
- die keineswegs abschließend feststehenden Vertragsbedingungen, die die Kooperation zukünftig ausgestalten werden: Das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsberechnung der beiden Varianten – Baubetriebshoferweiterung mit und ohne die OSW –, dass die Kooperationsvariante die wirtschaftlichere für die Gemeinde Lilienthal sei, ist in Frage zu stellen. Sie geht davon aus, dass in den abschließenden Vereinbarungen und Verträgen (Erbbaurechts- und Mietvertrag) keine Indexierungen oder Mietanpassungsklauseln aufgenommen werden, während die OSW – von der Gemeinde akzeptiert – offene Regelungen zur Höhe der zu leistenden Zahlungen anstrebt;
- die für die Finanzierung der Baumaßnahmen nötige Veräußerung des Grundstücks Am Holze 9, für das ein anderer Käufer gefunden werden muss: Hier hat der Bürgermeister den OSW gegenüber eine Letter of Intent abgegeben, wonach die Ge-meinde das Grundstück Am Holze 9 in ihren Bestand übernimmt, wenn den OSW eine Vermarktung nicht gelingt, oder einen Minderbetrag im Vergleich zu dem von Energiekontor gebotenen Kaufpreis im Fall der Veräußerung an einen anderen In-teressenten ausgleicht;
- das Verhalten des Bürgermeisters im Gesamtzusammenhang:
- Der Bürgermeister hat zwei Vorgänge – die Ansiedlung von Energiekontor und die Kooperation der Betriebshöfe – angestoßen und vorangetrieben, ohne die gemeindlichen Gremien ausreichend einzubinden: Beratungen über die Koope-ration mit den OSW oder eine Wirtschaftsförderung in den Ausschüssen im Vorfeld von Verhandlungen mit den Unternehmen sind nicht erfolgt, so dass Bedenken gegenüber den Planungen gar nicht erst geäußert werden konnten. Vorgänge wurden in den Gremien dann aufgerufen, wenn wegen der kommunal-rechtlichen Zuständigkeitsverteilung erforderliche Beschlüsse im Verwaltungsausschuss und Gemeinderat eingeholt werden mussten;
- der Bürgermeister hat Energiekontor Steuervorteile in Aussicht gestellt (und da-mit gezeigt, dass er bereit ist, ein ortsfremdes Unternehmen im Vergleich zu den ansässigen Lilienthaler Unternehmen unangemessen zu begünstigen), ohne sich offenbar zuvor mit der Kommunalaufsicht oder einer Rechtsanwaltskanzlei über deren Rechtmäßigkeit auszutauschen. Dann war ihm entweder bewusst, dass die in Aussicht gestellten Steuervorteile illegal sein würden, oder er hat angesichts der Relevanz des avisierten Verzichts auf Steuereinnahmen zumindest grob fahrlässig gehandelt: Selbst wenn er von der grundsätzlichen Zuläs-sigkeit von Steuervorteilen für ein einzelnes Unternehmen ausgegangen sein sollte, hätte er wegen des gemeindlichen Schuldenstands, der die Kommunalaufsicht immer wieder dazu veranlasst, darauf hinzuweisen, dass die Ein-nahmemöglichkeiten der Gemeinde vollständig auszuschöpfen sind, 2018 Rücksprache mit der Kommunalaufsicht halten müssen. Wie die Geschichte dann wohl gelaufen wäre?
Zwei Anträge für die Fachausschusssitzungen am 6.9. und am 7.9.2021 von B90/Die Grünen fordern Sachstandsberichte: Der Bürgermeister muss selbst den Ausschüssen, aber vor allen Dingen der Öffentlichkeit die Hintergründe des Rückzugs von Energiekontor, sein Agieren in den jeweiligen Zusammenhängen und die aktuelle Situation sowie die Risiken, die der Gemeinde noch drohen können, darlegen.
Erika Simon, Fraktionsvorsitzende im Lilienthaler Rat